Südafrika, das schönste Ende der Welt
Ich weiß nicht, wieso ich mich ausgerechnet in einem Land so wohl fühle, dessen Bild in so großen Teilen des Landes von Zäunen, verschlossenen Toren und hochgezogenen Mauern gezeichnet ist. Ein Land, das brutal sein kann, das teilweise so wild und gesetzlos ist. Ein Land, das von der Regierung bis durch die Gerichtssäle korrupt ist und dessen Bewohner sich zum Teil die Maßlosigkeit der Bestechung zu eigen gemacht haben, auch da, wo man es nicht erwartet. Dieses Land, das so postapartheidgeprägt ist so zerklüftet ist und so unsicher sein kann. Ein Land, dessen Kontraste nicht größer sein könnten, ein Land, dessen schwarz-weiß-Zeichnungen sein eigenes Bild noch immer prägen.
Ich nehme an, dass es genau die Kontraste sind, die meine Freundschaft zu dem Land seit meinem ersten Besuch bestimmen. Wie ist Südafrika? Wurde ich vor mittlerweile zehn Jahren zum ersten Mal gefragt. Kompliziert! - die Antwort gebe ich heute auch noch. Die Großstädte stehen im Kontrast zu den ländlichen Räumen, so wie überall auf der Welt. In den Großstädten gibt es Viertel, die ebenfalls kontrastreicher nicht zueinander stehen könnten. Die Pracht der schicken Stadtteile steht den chaotisch wirkenden und armen Townships gegenüber. Schick gepflegte Gärten und Golfplätze sind manchmal ein Hohn gegenüber ihrer direkten Umwelt. Und die Townships selbst könnten nicht unterschiedlicher sein. Wenn man sich mal ein bisschen im Township aufgehalten oder sogar dort gelebt hat, dann weiß man, dass an diesen Orten Systeme und Netze existieren, die wir als Mitteleuropäer nicht kennen. Man weiß aber auch, dass dort die Realität brutaler ist und dass eine Gewalt existiert, die wir uns ebenfalls nicht vorstellen können und die manchmal einen Besuch in bestimmten Townships unmöglich machen.
Die Kontraste finden sich ebenfalls zwischen Stadt und Land. Die unterschiedlichen Lebenslüfte, die man einatmen kann, treiben teilweise Familien auseinander und ein Unverständnis verschiedener Lebenskonzepte bringen Keile zwischen die Menschen.
Doch so unterschiedlich die Menschen Südafrikas sind, so unterschiedlich ist auch seine Natur. Neben den pulsierenden Großstädten gibt es die Weiten des afrikanischen Busches, neben der über 9000 kilometerlangen Küste und dem rauen Ozean, der nicht nur für Surfer das reinste Paradies sind, sondern auch die Heimat von Walen, Delfinen, Haien, Robben und sonstigem Meeresgetier ist, existieren Wüsten und Steppen. Neben rauen Gebirgen gibt es riesige liebliche und weltberühmte Weinregionen.
Dass Indischer Ozean und Atlantik am Kap aufeinanderprallen, kommt nicht nur dem Wein zugute. Diese geografische Sonderlage hat seit seiner Entdeckung durch Bartholomeus Diaz im Jahr 1488 dafür gesorgt, dass das Kap für die Handelsschiffe zum Umschlagplatz auf dem Seeweg von Asien nach Europa wurde. Asiatische Köstlichkeiten fanden sich schon seit frühester (europäischer) Besiedlungsgeschichte Südafrikas auf den Speiseplänen. Und die Besiedlungsgeschichte schrieb sich international weiter. Portugiesen, Holländer, Briten, Deutsche, Franzosen, Chinesen und Inder kamen seit dem 17. Jahrhundert nach Südafrika. Ihre Küchen mischten sich mit den Traditionellen. Das Essen in Südafrika ist so unterschiedlich, wie seine Bewohner und was man serviert bekommt, das hängt ganz davon ab, wo man eingeladen worden ist.
Eine Leidenschaft jedoch teilen alle Südafrikaner: Es ist der traditionelle Braai, der zu allen möglichen Anlässen begannen wird, auch wenn es keinen nennenswerten Anlass gibt. Ein Braai geht immer, wann man will, wo man will, wie lang man will. Neben der Boerewors und dem Straußenfleisch, werden Kudus, Impalas und Springböcke auf den Grill geworfen. Neben Rippchen und Steak kann man gelegentlich auch Krokodil und Chicken finden. Die traditionelle Chakalakasauce oder das Aprikosenchutney dürfen genauso wenig fehlen wie Squashes und Butternut, die ordentlich mit Butter und Salz bestrichen werden, oder auch der Pap und Süßkartoffelpommes. Getrunken wird natürlich der südafrikanische Rotwein oder ein kaltes Bier. Der Braai und die Liebe zum Fleisch eint die Regenbogengesellschaft, that's a fact, Bro!
Heute hat Südafrika elf Landessprachen (Englisch, Zulu und Afrikaans sind dabei die Hauptsprachen der Landessprachen) und in der Nähe Johannesburgs scheint die Wiege der Menschheit zu liegen, samt einem wunderbaren Museum. Die Fundstätten, an der 1924 die ältesten Menschenüberreste gefunden wurden sowie ein Gebiet um diese Stelle herum von knapp 300 Kilometer im Umkreis, wurde mittlerweile zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. Seit 1924 gab es noch viele fossile Überreste, die Darwins Theorie bestätigen, die Menschheit habe sich in Afrika entwickelt. Das Kind von Taung wird auf ein Alter von zwei Million Jahre datiert. Das Museum in der Nähe dieser Fundstelle gehört zu meinen Lieblingsmuseen auf der ganzen Welt. Es werden nicht nur sämtliche Theorien gezeigt und gegeneinander geprüft, die Ausstellung der Funde in Kooperation mit einem Bildungskonzept, das den Besucher selbst überlegen lässt, wie er sich durch das Museum bewegt, ist sehr modern gemacht worden und generationenübergreifend ansprechend. Auch das Apartheidmuseum in Johannesburg zählt zu meinen Favoriten. Da das Land über eine überschaubare Postapartheidsgeschichte verfügt, sind die Museen Südafrikas alle ziemlich neu und modern, die Ausstellungskonzeption ist durchdacht, die Geschichte wird unverblümt dargestellt und kritisch besprochen, egal um welches Thema es sich handelt.
Südafrika ist, seit ich es kenne, ein Land im Aufbruch. Sein Potential scheint unerschöpflich zu sein und die Energie ist grenzenlos und ansteckend. Und vielleicht ist es das Zusammenspiel von allem, was mich von der allerersten Sekunde an dieses Land gefesselt hat: Es sind die Kontraste, die mich zum Teil an den Rand meines Verstandes getrieben haben, es ist die Kultur, es ist der neue Aufschwung der aus einer recht kurzen gemeinsamen Vergangenheit heraus entstanden ist. Es ist die Kompliziertheit und die Verschiedenheit innerhalb der Gesellschaft, die das Denken und Handeln befeuern, die wissbegierig machen und eine nahezu unstillbare Neugier entzünden. Es ist die Natur, es sind die Tiere und es ist auch der Himmel über Afrika. Es ist der gemeinsame Versuch, etwas Gemeinsames zu schaffen und das Land zusammen zu gestalten. Es ist das Moderne gegenüber dem Alten und es ist das Traditionelle gegenüber dem Neuen, das einem überall begegnet. Es ist die Rainbownation, wie sich die Südafrikaner selber betiteln, die einen mitreißt, sobald man das Land betritt. Es ist die Freundlichkeit, mit der man empfangen wird, genauso wie die grenzenlose Freiheit, die man im Land erleben kann. Trotz Johannesburg als Hometown, habe ich mich selten so frei gefühlt. Südafrika ist bunt! Nicht nur in Johannesburg und Kapstadt, wo sich durch Kunstprojekte neue kreative Welten auftun und wo sich weltbekannte Designer niedergelassen haben. Das Theater in den Großstädten ist genauso wichtig wie Konzerte, Märkte, Kinos und Riesen-Outdoor-Gemeinschaftsveranstaltungen (Gründe zum Feiern finden sich immer) und um political correctness kümmert sich bei den Comedians am Kap kaum jemand. Man kann über sich selbst lachen, belustigt sich über eigene Angewohnheiten, wie den Sicherheitswahnsinn und die Unfähigkeit, sich in der eigenen Nachbarschaft zu Fuß zu bewegen. Kann man ja auch nicht! Würde jetzt ein empörtes weißes südafrikanisches Stimmchen erwidern. Man will aber! Und das merkt man. Als die Apartheid endlich beseitigt war, da öffneten sich viele neue Welten. Und dass Südafrika auf dem Weg nach vorne ist, das hat das Land der Welt mit der Fußballweltmeisterschaft gezeigt. Und das sagen heute auch die konservativen Weißen, die allerhand Zweifel hatte, was das sportliche Großereignis anging. Ja, Südafrika ist bunt und auf dem Weg und der Sicherheitswahnsinn hat sich schon aus vielen Teilen des Landes zurückgezogen. Selbst das absolute Verbot nach Einbruch der Dunkelheit zu Fuß zu gehen weicht nach und nach in bestimmten Regionen. Man möchte sich ändern und man schafft Wege und Ziele.
Vielleicht ist es auch ebendiese Hoffnung an eine friedliche und vertrauensvolle Zukunft, in der alles erlaubt ist und freie Meinungsäußerung so erwünscht bleibt wie sie heute ist, die es so interessant machen, in dem Land zu bleiben. Ja, ich liebe es, hier zu sein. Durch die Lande zu streifen und mich immer wieder aufs Neue berühren zu lassen. Südafrika hat mich auch immer mutig gemacht. Ich war immer bereit, Sachen auszuprobieren, die ich mich sonst nirgendwo auf der Welt trauen würde. Hier habe ich die verrücktesten Dinge getrieben und hier wollte ich sogar einmal leben. Ich habe hier immer das Gefühl, dass mich das Land trägt, mich beflügelt und dass ich hier hin passe. Ich habe hier Freunde, von denen ich weiß, dass ich sie für immer haben werde und jedes Mal, wenn ich aus dem Flugzeug steige und nach Johannesburg reinfahre, dann weiß ich, dass ich immer wiederkommen werde.