Highway One
Die Küstenstraße in Kalifornien zählt, wie schon geschrieben, zu den schönsten Autostrecken überhaupt auf der Welt. Die Küste des Golden States ist rauh und so auch seine Landschaft und das Wetter! Vom sommerlichen Venice war bald nichts mehr zu spüren und wir bibbern in unserem Cabrio vor uns hin. In den Filmen scheint immer die Sonne, die Leute laufen in Bermudas und Bikinis rum, schlürfen Coctails, gehen Joggen und Surfen den ganzen Tag. Dass das nicht der Realität entspricht, merkten wir schnell. Die Temperatur sank bald auf knappe 12 Grad, der Wind und die stürmischen Böen an der Küste lassen es sich noch kälter anfühlen. Wir fühlen uns an Schottland erinnert, obwohl wir noch nie in Schottland waren.
Trotz allem verlieren wir unsere Freude nicht, denn einerseits hatten wir Decken und dicke Pullis dabei und andererseits schien die Sonne, der Himmel war blau und das Leben fühlte sich gut an! Das Spektakel um uns herum war einfach wundervoll! Wir kamen aus dem südamerikanischen Sommer und landeten im kalifornischen Frühling. Die Blumen fingen hier gerade an zu blühen und die Vögel zogen pfeifend ihre Bahnen.
Interessanterweise kommt nach Santa Barbara erstmal meilenweid nichts mehr. Wir fahren alleine auf dem Highway One ohne eine Spur von Siedlungen. Gelegentlich wechselt das Bild der Küste von einer rauhen Felsküste zu einer lieblichen märchenhaften Landschaft mit riesigen Wiesen.
Dann fährt man wieder durch gigantische Wälder, in denen jeder Western spielen könnte. Oder Twilight. Ihr wisst schon, Jakob (danke, Pia, Hinweis an die Redaktion ;) hier stand erst Jack) und seine Werwolfjungs könnten einem Jederzeit begegnen! Man erwartet an jeder Ecke einen Menschen mit Schrotflinte (ich hab die Filme übrigens nur gesehen damit ich keine Bildungslücke hab. Ich fand sie sehr lustig).
Auch die Strände am Highway One sind wunderschön! Sie sind einfach kilometerlang und gottverlassen. Nicht selten machten wir für ein Picknick Halt oder liefen ein wenig die Küste entlang.
Es war herrlich, aber wir waren auch ein bisschen erstaunt. Irgendwie war das Kalifornien unserer Phantasie tatsächlich etwas dichter besiedelt!
De Facto kommen wir nur durch wenige Städtchen durch. Manchmal ist es auch nur eine kleine Ansammlung von Häusern. Dann nutzen wir aber immer die Gelegenheit um den lokalen Pub aufzusuchen und einen Kaffee an der Theke zu trinken oder einen Burger zu essen.
Die meisten Orte erscheinen uns bürgerlich und spießig, von der Freakshow in Venice ist nichts mehr zu spüren. Doch die Sportbars haben es uns auch irgendwie angetan. Vor allem die Samstagnachmittage sind sehr unterhaltsam. Jeder sitzt bei einem Bier oder einem Kaffee und feuert seine Lieblingsmannschaften an. Bisweilen ist das ein heilloses Durcheinander und Götz und ich wünschten uns, wir könnten mitbrüllen und würden Kricket wenigstens ein bisschen verstehen. Wir nehmen uns vor bei meinem Freund Lukas aus Seattle Nachhilfe zu nehmen und auf unserer nächsten Amerikareise besser vorbereitet zu sein!
Unsere Fahrt am Big Sur entlang ist traumhaft schön.
Die Strecke an der Küste entlang ist abwechslungsreich. Wir übernachten unterwegs zwei Mal, einmal in Monterey, einem kleinen, sehr niedlichen Städtchen, vor dessen Hafen die Seelöwen im Wasser toben und von deren Gebell man am Ufer entlang begleitet wird. On the Road entschieden wir häufig spontan, wo wir die Nacht verbringen wollten und mieteten uns in einem Motel ein kleines Zimmer. Dabei fühlten wir uns natürlich überaus amerikanisch und die Angst vor dem wahr werdenden Horrorfilm verflog auch nach der ersten Nacht. Wenn man sich morgens mit seinem Instantcoffee vor sein Zimmer setzt und das Treiben des erwachenden Tages zuschaut, dann hat das alles etwas sehr friedliches.
Nach über der Hälfte der Strecke entscheiden wir uns, zwei Tage in Halt Santa Cruz zu machen. Wir mieteten uns ein kleines Appartement von einem sehr netten Pärchen und gingen ganz enthusiastisch auf Erkundungstour: Im Reiseführer heißt es nämlich, dass Santa Cruz noch ein kleines Hippienest ist, chaotisch, liberal, frei und lebendig. Also nichts wie auf nach Downtown, wer weiß, wen wir hier noch treffen können! Wir wurden leider schnell enttäuscht. Ich glaube der einzige Enthusiast war der Verfasser des Reiseführers. Wo er seine Informationen her hat, fragen wir uns. Die einzigen interessanten Leute sind die, die wie wir, den Reiseführer gelesen haben und auf der Suche nach dem Besonderen sind, hier, in Santa Cruz. Zugegebenermaßen gibt es ein paar nette Cafés und ein paar esoterische Läden, in denen sich aber niemand aufhält. Downtown besteht nur aus einer etwas 200 Meter langen Einkaufsstraße, aber irgendwie ohne Shops, und einem Parkplatz, auf dem es dann wenigstens mal zur Action kommt. Wir beobachten einen sehr lauten Streit zwischen einer schwarzen Frau und einem weißen Mann, der mehrfach droht, übergriffig zu werden. Schnell vergrößert sich die Gruppe um die schwarze Frau, es wird gedroht und gebrüllt, und der weiße Mann reißt aus, nicht jedoch, ohne lauthals dabei zu fluchen. Worum es wirklich ging, konnten wir nicht verstehen, ob es ein rassistisch motivierter Streit war oder nicht, keine Ahnung. Aber immerhin kam es nicht zu irgendwelchen gewaltgeschwängerten Szenen. Dass sich die Amis sehr sehr laut und offen streiten können, das haben wir jetzt schon ein paar Mal mitbekommen. So eine Streitkultur haben und kennen wir nicht!
Wir wussten jetzt nicht mehr so recht, was wir hier noch tun sollten. Die von dem Reiseführer versprochene Partymeile, bestehend aus Bars, Brauereien, Weinereien, Clubs und Kneipen haben wir nicht gefunden. Genausowenig die Partypeople oder die Straßenmusiker. Wir gingen in einen Second Hand Shop um zu gucken, ob wir was cooles entdecken können, ich hoffte auf eine Lederjacke. Möchte schon seit Jahren eine neue haben, nachdem mir meine vor Ewigkeiten geklaut wurde. Aber auch hier finde ich keinen adäquaten Ersatz und Götz gerät ins Schimpfen über den horrend teuer angebotenen Ramsch. In einem anderen Second Hand Shop beobachten wir einen Grabscher. Er wird rausgeschmissen und wir gehen auch.
Nach den nicht weit weg voneinander entfernten Secondhandläden entschieden wir uns zum Meer zu gehen und einen Strandspaziergang zu machen. Wir waren ein ganz kleines bisschen enttäuscht von Santa Cruz, aber der Strand war wirklich schön und es gab einen kleinen reizenden Pier, über den wir ein bisschen schlenderten und Wetten abschlossen, wo die runtergetauchten Enten wieder hochkommen würden. Die meisten Enten haben wir aus den Augen verloren, aber als dann die Sonne unterging waren wir sehr romantisiert und wieder versöhnt.
Der Strand war ziemlich cool, überall waren Volleyballfelder aufgebaut und die Santa Cruzer trafen sich hier zum Spielen. Wir haben eine Weile zugeguckt. Ich wollte irgendwas typisch amerikanisches machen und entdeckte ein Bowlingcenter. Leider war der Götz nicht so Bowlingmäßig unterwegs und wir entschieden uns wieder nach Hause zu gehen, zu kochen und Bier zu trinken. Irgendwie waren wir doch gefrustet. Santa Cruz versprach irgendwie nicht, das was wir gehofft hatten. Dann machten wir aber doch noch was amerikanisches. Wir knallten uns nach dem Kochen vor die Glotze, machten uns ein Bier auf und aßen vorm Fernseher. Ich glaube die Nacht, die danach kam, entsprach dem Tiefpunkt unseres Kalifornienurlaubs. Wir lasen Nachrichten und erfuhren, dass in Seattle, der Obdachlosenhauptstadt der Vereinigten Staaten, eine Obdachlosensteuer für Superreiche eingeführt werden sollte und für die dort angesiedelten Großkonzerne. Amazon verweigerte in dem Moment in dem die Stadt den Gesetzentwurf eingebracht hatte, die Abgabe der Steuer und verdeutlichte die Aussage durch den sofortigen Baustopp vierer Großbaustellen für Bürogebäude des Konzerns. Mit einem Schlag wurden mehrere Tausend Bauarbeiter arbeitslos. Und arbeitslos ist fast gleichbedeutend mit obdachlos. Die Arbeitslosen werden ja kaum aufgefangen, ein Sozialstaat ist Amerika bekanntlich nicht. Götz und ich waren entsetzt! Gerade erst hatten wir in Los Angeles die Zeltstädte gesehen, die unter jeder Brücke wuchsen und wuchsen, und nun bekamen wir die Übermacht der Großkonzerne und ihr aktives Eingreifen in die Politik direkt mit. Es ist ja so, dass man diese ganzen Sachen immer in den Zeitungen liest, aber was für Konsequenzen das alles hat, das versteht man ja irgendwie doch erst, wenn man diese mit eigenen Augen sieht. Das ging uns ja schon an anderen Orten so. Vor allem in Argentinien, als wir diese ganzen Monsantofelder und Monokulturen gesehen haben, die größte Teile des Bildes des ganzen Landes zeichnen. Das Abstrakte wird Real und in dem Moment , in dem das geschieht, wird einem sehr, sehr viel klar. Nach Argentinien war ich irgendwie froh, dass wir nicht noch nach Brasilien gereist sind. Ich weiß nicht, ob ich das noch ertragen hätte.
Wir haben in dieser Nacht lange zusammen gesessen und über das Erlebte gesprochen. Wir haben unsere gesamte Reise Revue passieren lassen und haben uns gefragt, was uns diese lange Reise gebracht hat. Wir haben über die verschiedenen Orte und über die verschiedenen Erkenntnisse gesprochen, haben wie jeden Tag über Politik geredet. Mit den Erlebnissen hier in Amerika haben wir auf Europa geschaut. In der Nacht habe ich irgendwann auf mein Handy geblickt und aufs Datum geachtet. Ich habe gesehen dass Europatag ist und dann habe ich meinen Europabeitrag geschrieben, der ja auch hier im Blog zu finden ist. In Deutschland war schon Tag, als ich ihn ins Internet stellte, und ich habe sehr viel und total unerwartet von vielen Leuten Feedback erhalten. Das hat mich tief berührt.
Wir müssen ehrlich sein, wir haben uns in der Nacht total betrunken, in Anbetracht des Weltzustands. Ich weiß, das ist ungesund und man soll nicht alles auf seine Schultern lasten. Aber, ganz ehrlich, wer wenn nicht wir?
Götz und ich sind uns einig: Die zehn oder fünfzehn Jahre, die zwischen dem Amerika heute und dem Europa heute liegen, die müssen wir mit aller Kraft, die wir aufbringen können, zu bewahren versuchen. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Städte ihren Charakter verlieren. Dass das, was heute im Reiseführer steht morgen nicht mehr da ist, wie hier, in Santa Cruz. Wir müssen unsere kleinen Strukturen beschützen, wo wir nur können, wir dürfen nicht aufhören miteinander zu reden, dürfen nicht aufhören, unsere Meinungen miteinander zu diskutieren und uns zu streiten. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Technik die Übermacht gewinnt und dass die Konzerne unseren Alltag noch mehr lenken und strukturieren, als sie es ohnehin schon tun. Hier in Amerika hat Amazon schon fast den gesamten Lebensmittelmarkt aufgekauft, nun werden die ersten Angebote im Bildungssektor ausgesprochen. Wenn es so weiter geht dann ist Amazon bald Träger sämtlicher Schulen und anderer Bildungseinrichtungen und bestimmt damit komplett über das, was unsere nachfolgenden Generationen lernen und wissen bzw. nicht wissen werden. Wir dürfen niemals zulassen, dass es bei uns in Europa so weit kommt. Europa muss denkend bleiben! Europa muss bunt bleiben und seine verschiedenen Regionen behalten, genauso wie seine verschiedenen Sprachen und Kulturen. Ich weiß, es klingt utopisch, weil Geld die Welt nunmal regiert. Aber wir müssen versuchen, die Menschlichkeit, die uns Menschen ausmacht, zu bewahren und unser freies Denken frei lassen. Wir müssen unsere Freiheit mit aller Kraft bewahren. Denn das Geld denkt nicht an Freiheit und die Konzerne haben keine Moral, wir aber schon! Die Moral der Konzerne ist das Geld. Und das stinkt.