Shanghai
Wir sind auf dem Rückweg! Da wir nur noch ein paar Tage Zeit haben, bis wir wieder in Europa sein müssen, haben wir uns schon vor einigen Monaten dazu entschieden, dass wir über Shanghai zurückreisen wollen. Dies hat eigentlich nur einen einzigen Grund: Wir wollen in Shanghai die Lea besuchen, die dort zur Zeit lebt, weil sie ein Praktikum macht.
Ohne Lea wären wir wohl nie auf die Idee gekommen, uns auf den Weg nach China zu begeben, das müssen wir ehrlich zugeben. Zum einen nicht, weil China einfach zu groß ist und wir insgesamt so viel Zeit bräuchten das Land zu erkunden, wie unsere Reise insgesamt gedauert hat, und zum anderen nicht, weil wir Asien ehrlich gesagt gar nicht so auf dem Plan hatten. China, seine Kultur, seine Geschichte und seine Landschaft sind zwar wahnsinnig interessant und wecken auch immer wieder Neugierde, aber waren wie gesagt nie so richtig die oberste Priorität. Daher war uns von Vornherein klar, dass wir nur eine Steppvisite machen werden. Mit einem Transitvisum, wie wir es uns besorgt hatten, konnten wir uns nun für fünf Tage in der Provinz Shanghai und in zwei Nachbarprovinzen aufhalten.
Als wir in Shanghai ankamen waren wir erst einmal sehr froh, dass es hier wieder warm war. Juchu! Die Luftfeuchtigkeit war so hoch wie in Costa Rica und wir fühlten uns nahezu heimisch.
Nachdem wir ein bisschen brauchten, um die Einreise zu meistern ("ein bisschen" bedeutet, dass die chinesische Langsamkeit am Einreiseschalter fast an die mauritianische drankam! Fast!), wuchteten wir unsere Rucksäcke in ein Taxi und zeigten dem freundlichen aber nicht des englisch mächtigen Taxifahrer auf unserer Handykarte, wo wir hinwollten. Er chauffierte uns durch die kilometerlange Vorstadt Shanghais und setzte uns nach einer knappen Stunde, vor einem Hochhaus ab. Wir hatten uns vorher WeChat installiert, das chinesische Äquivalent zu Whatsapp, damit wir mit den Chinesen auch kommunizieren konnten. Ohne dieses Programm wären wir wohl gar nicht zu unserer Wohnung gelangt.
Mit dem Taxifahrer gab es auch ein paar Probleme mit der Abrechnung, weil der Geldtransfer in China auch über WeChat läuft und wir das zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten. Nach einem kurzen und freundlichen Hin und Her, bei dem Keiner verstand, was der Andere wollte, akzeptierte er schließlich unser Bargeld.
Die Luft war jetzt etwas gelblich um uns herum. Aber damit hatten wir ehrlich gesagt schon gerechnet, nach allem, was man so von chinesischen Großstädten gehört hat, außerdem war nebenan auch eine Baustelle. Wir nickten uns frohen Mutes zu und begaben uns auf eine Schnitzeljagd, die unsere Vermieterin für uns vorbereitet hatte, mit dem Ziel, den Schlüssel für unsere Wohnung zu finden. Wir waren sehr schnell. Also vielmehr: Götz war sehr schnell, weil ich auf unsere Rucksäcke aufgepasst habe. Nachdem er ihn fand, fanden wir sogleich auch den richtigen unter den circa fünf Hauseingängen im Innenhof und sogar auch direkt beim ersten Versuch unser Appartement ohne Hausnummer! Donnerwetter!
Das ging alles viel einfacher, als gedacht!
Und Taddaa!
Hier wohnen wir:
Schön, oder? Das da unten ist übrigens nicht das Erdgeschoss...
Oh mein Gott wieso fahren wir ausgerechnet ganz am Ende einer wundervollen durch Natur geprägten Weltreise in eine Betonwüste?
Ich glaube wir wohnten in der 37. Etage. Wir fuhren übrigens mit dem Aufzug und im Aufzug gab es einen Fernseher, auf dem Werbesendungen gezeigt wurden.
Nachdem wir unsere Sachen abgeworfen hatten, entschieden wir uns zum sofortigen Aufbruch. Lea musste noch circa drei Stunden arbeiten und wir wollten vorher noch eine kleine Erkundungstour machen. Wir vereinbarten in weiser Voraussicht schonmal einen möglichst prominenten Meetingpoint mit ihr, damit wir ihn nicht verfehlen könnten, für den Fall dass wir kein Internet oder keine funktionstüchtige Stadtkarte mehr haben würden oder die chinesischen Straßenkarten nicht lesen können würden. Ach, was waren wir naiv! Wenn es etwas überall gibt in Shanghai, dann ist es Wlan! Und die Straßenschilder sind auch für uns Mitteleuropäer verständlich!
Unsere direkte Umgebung war etwas verfallen. Die Häuser relativ ruinös und leergeräumt, eigentlich wie vor einem Abrisskommando. Aber da wohl nichts abgerissen wurde, haben sich die Leute ihre leerstehenden Läden wieder zurückgeholt und verkauften dort weiterhin ihre Waren auf die Straße heraus.
Die Gässchen in unserer Nachbarschaft waren sehr lebhaft, klein und süß, es gefiel uns sehr gut hier entlangzuspazieren.
Entfernte man sich etwas, wurde es hektischer.
Wir gelangten ins Stadtzentrum oder Businesszentrum oder wie auch immer man das in einer Megastadt nennt (es war auch megagroß, am 2. Tag brauchten wir den ganzen Tag um es zu erkunden).
Mit uns waren Tausende von Menschen unterwegs, zu Fuß, auf Fahrrädern oder auf Elektrorollern, die gemeingefährlich waren, weil man sie nicht hörte. An den Straßen bildeten sich häufig auch Menschenstaus und mehrere hundert Leute warteten zum Teil gemeinsam im Pulk auf die nächste Grünphase.
Wir kämpften uns durch die Straßen um zu unserem Treffpunkt mit Lea zu kommen: Der Promenade!
Juchu! Nach 7 Monaten bzw. 3,5 Monaten sahen wir uns wieder! Dieser Treffpunkt am anderen Ende der Welt war schon etwas eigenartig, hatten wir alle drei in den letzten Monaten doch auf ganz unterschiedliche Weisen viel erlebt! Wir liefen ein bisschen an der Promenade entlang. The Bund, oder auf chinesisch Waitan, ist wirklich beeindruckend schön. Der Weg ist über 2,5 km lang und teilt das moderne China vom alten China. Normalerweise stehen wir gar nicht so auf Skylines, aber die in Shanghai ist einfach spektakulär schön!
Gleichzeitig steht sie exemplarisch für das heutige China. Sie beschreibt ein Mammutprojekt, das innerhalb von zwei Jahrzehnten fertiggestellt wurde. Die Prommenade selbst wurde in knapp zwei Jahren zur Expo 2010 um einen knappen Kilometer verlängert, die Wolkenkratzerstadt in Pudong am gegenüberliegenden Ufer des Flusses blickt auf eine knapp 20jährige Geschichte zurück. In für europäische Verhältnisse rasender Geschwindigkeit wurde hier ein Rekordgebäude nach dem anderen errichtet und heute ist Pudong das Finanzzentrum Shanghais, und sein Aushängeschild. Eine Metropole der Superlative, man hört davon, hier sahen wir sie. Auf der Promenade begegnen sich Geschichte, Gegenwart, aber vor allem Zukunft. Pudong glitzert und flimmert und wirft seine Schatten in eine hochtechnisierte Zukunft voraus, deren Beginn wir während unseres Kurzbesuchs in China bereits spürten. Die chinesische Moderne hat begonnen. Durch das Gefunkel der Häuser ist man ganz abgelenkt, doch lohnt sich auch ein Blick nach hinten. Denn auf der anderen Seite reihen sich mehr als 50 Häuser aneinander, die aus ganz unterschiedlichen Epochen stammen. Hier sind die Spuren der Kolonialzeit zu sehen und während ich die Häuser anschaute muss ich ganz automatisch und ein bisschen wehmütig an meine Wohnung in der Kiautschoustraße denken :)
Kleiner Exkurs: Kiautschou gehörte dem Deutschen Kaiser! Es gibt noch herrliche zeitgenössische Postkarten aus der Zeit des Marinestützpunktes seit dem Ende des 19. Jahrhunderts! 1914 wars dann aber schon wieder vorbei mit der Deutschen Kolonie in China. Jedoch wurde aus dem ehemaligen Fischerdorf eine Kolonialhauptstadt mit mehr als 60.000 Einwohnern und natürlich einer Brauerei. Genau genommen der Brauerei Tsingtao, die heute noch zu den weltweit größten Brauereien zählt. Damals hieß sie aber noch Germania-Brauerei...
Nun, soviel dazu. Ich mach lieber nicht weiter sonst fang ich noch vom Seekrieg im 1. Weltkrieg an.
Wir bekamen während unseres kleinen Spaziergangs jedenfalls allmählich Hunger und Durst und entschlossen uns, bald etwas zu Essen bekommen zu müssen. Lea suchte für uns ein kleines Restaurant im ruhigeren Teil der Stadt aus.
Als wir ankamen und Platz genommen hatten, studierten wir erst einmal aufmerksam und auch ein bisschen feierlich (ich hab mich innerlich zumindest ein bisschen feierlich gefühlt) unsere erste chinesische Speisekarte und staunten nicht schlecht, wie Lea uns die für uns natürlich vollkommen fremden Schriftzeichen mit einer Leichtigkeit vorlas! Mega krass! Wir wären natürlich völlig aufgeschmissen gewesen ohne sie. Es gab nur selten solche Übersetzungen:
Bringt auch nicht viel, haha!
Immerhin gab es ein paar Bilder! Wir waren dann jedenfalls noch erstaunter, als sich Lea plötzlich erhob und lautstark auf chinesisch durch das Restaurant brüllte! "So bestellt man hier!" Okay!
Der Kellner kam an den Tisch, nahm unsere Bestellung auf und gab uns ein paar Schüsselchen, allesamt in Plastik verpackt. Neben den Tisch wurde ein Mülleimer gestellt, für Plastik und Essensreste. Wir öffneten das Bier und prosteten uns erst einmal an. Dass die chinesische Küche so viel Gemüse auf den Tisch bringt und so leckeres frisches (naja, sehr fettig angebraten zum Teil aber doch sehr schmackhaft) Zeug zu bieten hat, war uns gar nicht so klar. Wir freuten uns und bestellten natürlich noch ein paar chinesische Besonderheiten dazu!
Nachdem wir satt waren, gingen wir noch ein Ründchen spazieren, um den ersten Tag in Shanghai ausklingen zu lassen.
Die Promenade war jetzt wirklich romantisierend.